Der Kirchenumbau 1704 und seine Behinderung durch den Räuber Lips Tullian

Zum 600. Jahrestag der Ersterwähnung von Hosterwitz – Leserprobe aus dem Manuskript zur Chronik

Die Kirche „Maria am Wasser“ entsprach Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr den damaligen Anforderungen. Sie war in katholischer Zeit, also vor 1539, erbaut worden und nur für Messgottesdienste bestimmt. Das Kirchengebäude war kleiner und niedriger als das jetzige, zunächst ohne Emporen und mit wenigen kleinen Fenstern ausgestattet. Das Kirchlein „Maria am Wasser“ war eine Fischer- und Schifferkirche. Nach dem Passieren der sogenannten „Leichte“, wo die Fährknechte gezwungen waren, die beladenen Schiffe zu erleichtern, sollte hier eine Stätte der Andacht und des Gebetes sein. Noch jetzt befindet sich an der Südwand der Kirche außen die Einfassung einer rundbogigen Tür, durch die die Schiffer die Kirche von der Elbe her betraten.

Lips Tullian. Quelle: Vortrags-Dia des Kantors Günter Schubert zur Glockenweihe 1993

Lips Tullian.
Quelle: Vortrags-Dia des Kantors Günter Schubert
zur Glockenweihe 1993

Die Kirchgemeinde, voran der Pfarrer Johann Chris­toph Rüdinger (Pfarrer 1680 – 1724) und die Kirchväter hatten das Ziel, die Kirche zu erweitern und in barocker Form umbauen zu lassen. Auch Besichtigungen der Kirche durch den Inspektor des übergeordneten Gerichts des Rittergutes Pillnitz, Hofrat Doktor Freystein, deckten den schlechten baulichen Zustand der Kirche auf. Die Einschätzung der notwendigen finanziellen Mittel ergab einen Betrag von über 1700 Thalern. Aus diesem Grunde mahnten die Kirchväter im Jahre 1698 von ihren Schuldnern offene Außenstände an, was sie im Jahre 1700 wiederholten. Als Ergebnis dieser Maßnahmen hatten sie Ende 1701 einen Bestand von über 700 Thalern in der Kirchenkasse.

Die Kirchväter, die unter Aufsicht des Gerichtsamtes Rittergut Pillnitz die Verantwortung für die Verwaltung der Kirchgelder trugen, waren äußerst gewissenhaft bei dem Ausleihen und Eintreiben der Kapitalien. Die für den Umbau der Kirche eingetriebenen Gelder ebenso wie die kostbaren Kirchengeräte und auch die Kirchenbücher glaubten sie in dem unbewohnten Kirchengebäude sicher.

Diese falsche Annahme bezahlte die Kirchgemeinde mit dem fast vollständigen Verlust. In der Nacht des 26. August 1702 brach eine Bande von Räubern unter ihrem Anführer, dem Diebeshauptmann Lips Tullian, in die Kirche ein, nachdem sie ein Kirchenfenster zerschlagen hatten. Die Bande stahl 687 Th 52 Gr 11 Pf in gemünztem Gelde. Aus dem Schränkchen an der Rückseite des Altars (Gotteskasten) und aus der Sakristei stahlen die Räuber einen großen silbernen und einen vergoldeten Kelch sowie eine silberne Hostienschachtel. Auch zwei silberne und vergoldete Flaschen, die vom Kammerherrn Hauptmann Caspar Hauser von Körbitz auf Niederpoyritz als Unterpfand für Schulden in Höhe von 30 Th gegeben worden waren, verschwanden. In der Kirche hatten die Räuber auch einiges demoliert und beim Verlassen das Schloss der eisernen Kirchentür aufgesprengt.

Richtstätte in Dresden. Quelle: Vortrags-Dia des Kantors Günter Schubert zur Glockenweihe 1993

Richtstätte in Dresden.
Quelle: Vortrags-Dia des Kantors Günter Schubert zur Glockenweihe 1993

Die Kirchgemeinde empörte sich über diese Untaten, durch die für den 1704 vorgesehenen Kirchenbau nur noch 55 Th 16 Gr 8 Pf übrig geblieben waren. Aber die Räuberbande konnte lange Zeit nicht gefasst werden. Der Name des Anführers Lips Tullian (Philipp der Tolle) war nur ein zugelegter. Er hieß Erasmus Elias Schönknecht (1673 – 1715) und diente ursprünglich als Wachtmeister in der kaiserlichen Armee (Bild 1). Mit früheren Soldaten und anderen Dieben war er bald der Anführer einer sechzig Mann starken Räuberbande. Nach vielen Untaten fasste sie das Amt Dresden, fand sie durch das Gericht schuldig und ließ sie durch den Rat zu Dresden hinrichten.

Die Kammerrechnung des Rats zu Dresden des Jahres 1714/15 weist „die armen Sünder und seitherigen fünf Amtsgefangenen

  • Lips Tullian alias Erasmus Elias Schönknecht,
  • Christian Eckholdt oder der sogenannte schöne Böttger aus Leipzig,
  • Samuel Schickel, der Brettbauer,
  • Student Johann Gottfried Sahrberg und
  • Student Hannß Wolfgang Heinrich Schöneck“

aus, die wegen „Kirchenraub, auch Mordtaten und Diebereien halber mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht und danach die Körper aufs Rad geflochten wurden“. Am 8. März 1715 wurde auf dem Neustädter Hochgericht in Dresden im Beisein von 20 000 Zuschauern – Dresden hatte damals 21 300 Einwohner – diese Exekution vollzogen.

Die bestohlene Kirchgemeinde Hosterwitz musste energische Maßnahmen ergreifen, um die Pretiosen, die Gelder für den geplanten Kirchenumbau im Jahre 1704 bereitzustellen. Dazu sandte sie in den Jahren 1702/03 und 1703/04 den Kirchvater Michael Zetsche, der auch als „Schöppe“ in Hosterwitz wirkte, mit der schriftlichen Aufforderung des Herrn Dr. Freystein zu den Kirchen, ihre Schulden kurzfristig zu tilgen. Die abgetragenen Schulden und Abgaben führten zu über 770 Thalern. Aber damit fehlten noch 1000 Thaler, die als Darlehen aus der Witwen-Kasse der Priester zu Dresden, von dem Dresdner Prediger M. Johann Georg Hahn und Herrn Heinrich Promnitz aus Pirna im Laufe des Jahres 1704 geborgt wurden. Über 28 Jahre trug die Gemeinde diese Schulden ab, bis sie im Jahre 1732 an die Witwen-Kasse die letzten tilgen konnte.

Durch den Umbau im Jahre 1704 erlangte die Kirche ihre jetzige äußere Gestalt: der Altarplatz wurde angebaut und die Fens­teröffnungen in ihrer jetzigen Anzahl, Größe und Form geschaffen. Damals erfolgte wahrscheinlich auch der Anbau des Sakristei- und Logenteils der Kirche. Der Turm erhielt die charakteristische, vom Süden beeinflusste Zwiebelform. Auch stammen aus dieser Zeit das den First nach Osten abschließende eiserne Kreuz und der sogenannte „Fruchttopf“ am Westgiebel vor dem Turm. Die Wetterfahne des Turms erhielt die Jahreszahl 1704. An dem Bau wirkten viele Gewerke mit, wie aus den Rechnungen in den Kirchenunterlagen hervorgeht.Die Aufzählung bein­haltet Maurer-, Zimmermeister-, Schieferdecker-, Kupferschmied-, Schmiede-, Schlos-ser- sowie Glaserarbeiten. Dazu nötig waren Holz- und Brettwaren, Steinwerk aus Sandstein in verschiedener Form und Größe. Der Orgelmacher hatte die Orgel abzubauen, wiederaufzusetzen und alles instand und ingang zu setzen. Nach Einweihung der grund­legend neu gestalteten Kirche sollte diese durch die Kirchgemeinde bis zum nächsten Umbau im Jahre 1741 nutzbar sein.

Dr. Sieghart Pietzsch

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