Am „Erckelschen Weinberg“ in Loschwitz wird wieder gebaut

Eine kleine Kapitel Bau- und Familiengeschichte

Napoleon im August 1813 auf dem nachmals Erckelschen Weinberg beim Beobachten von gegneri­schen Truppenbewegungen Reproduktion: Sammlung Eberhard Münzner

Napoleon im August 1813 auf dem nachmals Erckelschen Weinberg beim Beobachten von gegneri­schen Truppenbewegungen
Reproduktion: Sammlung Eberhard Münzner

Manche Namen vonWein­bergbesitzern in Losch­witz leben bis in die Gegenwart fort (Dinglinger, Körner, Kügelgen, Preißler), während andere weniger ins öffentliche Bewusstsein drangen. So beispielsweise Julius Erckel (gestorben 1881), aus Leipzig kommend, der um 1855 am Losch­witzer Stadtweg, der heutigen Schillerstraße, vom Vorbesitzer Seykauf einen Weinberg erwarb („ein ansehnliches Grundstück“), der von der Mordgrundbrücke hinauf fast bis zum heutigen Lahmannring reichte; er besaß ihn bis zum Lebensende – danach verlosch der Name Erckel in Dresden wieder. Bereits am 26. August 1813 hatte Napoleon auf dem Weinberggipfel den linkselbischen russisch-österreichischen Truppenaufmarsch beobachtet; daran erinnert noch heute eine Stele an der Hermann-Prell-Straße 5/7 im Garten der „Villa Tiberius“ /s. u./. 1857 errichtete Julius Erckel (an der jetzigen Schillerstraße 24) eine „Schweizer Villa“ als Sommersitz, die bis zum 14. Februar 1945 Bestand hatte und dann noch jahrelang als Ruine dahindämmerte. An dieser gleichen Stelle haben jetzt wieder die Bauleute das Sagen. Ob sie wissen, auf welchem geschichtsträchtigen Areal sie zu tun haben?

Das Wohnhaus der Familie Martens/von Koppenfels, um 1940. Foto: Georg Gruel

Das Wohnhaus der Familie Martens/von Koppenfels, um 1940.
Foto: Georg Gruel

Familie Erckels Sommersitz in Dresden

Julius Erckel, den sein Enkel, der (Loschwitzer) Schriftsteller Kurt Martens (1870 – 1945, s. EHK 9 und 10/2005), als „schlanke, straffe Gestalt des Genußmenschen“ in Erinnerung behielt, „pflegte während des Sommers eine künstlerisch angeregte Gastlichkeit… von biedermännischem Format“ in diesem Haus, gern „in dem großen Speisesaal an der Spitze der reich besetzten Tafel thronend, umgeben von den Töchtern (deshalb verlosch der Name Erckel, d. R.) und deren respektablen Männern“. Der musikbegabte Julius Erckel war in Leipzig Schulkamerad Richard Wagners. Er entstammte einer alteingesessenen Leipziger Bankier- und Weinhändlerfamilie (am dortigen Markt Nr. 14), die nicht nur wegen der „Kostbarkeit ihrer Rheinweine“ gerühmt wurde, Die Familie konnte auch auf eine namhafte, lebhaft gepflegte Ver­wandt­schaft verweisen, zu der die Familien von Christian Gottlieb Körner, von Gutschmid, von Wackerbarth und von Weber (ehemals am hiesigen Veilchenweg) gehörten. Die solcher­­art „belastete“ Tochter Julius Erckels, Antonie Erckel (1846–1926) bezog 1889 als Teilerbin das Loschwitzer Anwesen.

Bereits 1869 hatte sie den Juristen und sächsischen Amtshauptmann Heinrich Martens (der schon um 1882 starb) geheiratet und ihm vier Kinder geboren. Ihr ältester Sohn, der 1870 geborene Kurt Martens, rühmte später die musikalische Begabung seiner Mutter Antonie: „Es war mein ganzes Entzücken, mich still in einen dämmrigen Winkel ihres Boudoires zurückzuziehen, wenn sie am Flügel sang und sich dazu begleitete“. Auch bewunderte er sie „im Zeichnen und Aquarellieren, in Landschafts- und Portraitmalerei, im Kopieren alter Meister… weit über den dilettantischen Durchschnitt“. (Insofern gebührt auch ihr, die wahrscheinlich auf dem Losch­witzer Friedhof ruht, eine Erwähnung in den „Künstlern am Dresdner Elbhang“. Noch 1882 heiratete sie als Witwe den Amtshauptmann E. W. Starke, der aber bereits 1889 starb.)

Baustelle am Fuß des „Erckelschen Weinberges“, oben links die „Villa Tiberius“. Foto: Jürgen Frohse

Baustelle am Fuß des „Erckelschen Weinberges“, oben links die „Villa Tiberius“.
Foto: Jürgen Frohse

Das Baugeschehen im „Nachbargrundstück“

Als offenbar vermögende Witwe Antonie Starke-Martens verbrachte sie mehrere Sommerurlaube in einer deutschen Künstlervilla auf der Insel Capri. Dort begegnete sie (lt. Gästebuch) auch dem „Dauergast“ Professor Carl Weichardt (1846 – 1906), einem (auch auf Capri) erfolgreichen Architekten und Maler, seit 1900 an der Technischen Hochschule Dresden lehrend, der in Dresden einen imposanten Bauplatz für eine Villa suchte. Diesen fand er schließlich, mit einem unvergleichlichen Panorama, auf dem Gipfel des Erckelschen Weinberges; Antonie Starke-Martens überließ ihm käuflich das erforderliche Areal (weitere Grundstücksteilungen sollen hier nicht erörtert werden). Danach benannte Weichardt 1905 sein neues Haus (heute im Capri-Nachklang als „Villa Tiberius“ bezeichnet/ siehe EHK 11/2006, 4 und 10/2005) schlicht „Haus Waldwinkel“, da das Ambiente schon damals weniger einem Weinberg, sondern eher einem Waldgrundstück glich, das Kurt Martens in den 20er Jahren im unteren Teil an der Schillerstraße so empfand: „Herrlich der große terassenförmig ansteigende Garten, der sich mit einer Waldparzelle über den Weinberg hinab zur Mordgrundbrücke zog. Eichen, Buchen und Akazien umsäumten Teiche und Springbrunnen. Vor der Front der (Schweizer) Villa breiteten sich bunte Rabatten und hochstämmige Rosen aus, zwei stolze Zypressen flankierten die Freitreppe…“. (Vielleicht waren es diese Gegebenheiten, die die Dresdner Umweltbehörde lange zögern ließ, der jetzigen Baugenehmigung zuzustimmen.) Ähnliche Impressionen vermittelt heute auch das Anwesen „Villa Tiberius“.

Napoleon-Stele (re.) im Rosengarten des Hauses „Waldwinkel/Heim für höhere Töchter“ (der heutigen „Villa Tiberius“) auf dem Erckelschen Weinberg, um 1930. Foto: Sammlung Eberhard Münzner

Napoleon-Stele (re.) im Rosengarten des Hauses „Waldwinkel/Heim für höhere Töchter“ (der heutigen „Villa Tiberius“) auf dem Erckelschen Weinberg, um 1930.
Foto: Sammlung Eberhard Münzner

Der Erbe bezieht das Haus …

Als bereits angesehener Schriftsteller und Literat, nach Arbeitsjahren in Leipzig und München (hier in engem Kontakt mit dem Duz-Freunde Thomas Mann) bezog Dr. phil. Kurt Martens zusammen mit Ehefrau Marie und Tochter Hertha (1899 in München geboren, seit 1920 Schauspielerin, seit 1930 als Indologin forschend und 1978 in Madras gestorben) im Jahre 1927 – nunmehr als Erbe und Mitbesitzer – das „Schweizerhaus“. Ahnungsvoll, aber durchaus das Anwesen genießend, schreibt er schon 1930 (nach dem Tod der Mutter): „… Denn schon kracht die alte Holzverschalung, in der Decke zeigen sich Risse, hinter den verblichenen Tapeten rieselt der Kalk. Zu arm, das geliebte Gemäuer vorsorglich instand zu halten, kann ich nur hoffen, daß es mich knapp überdauert oder eines Tages unter seinen Trümmern begräbt. Nichts wird mich zwingen, es lebend
zu verlassen.“ Im Oktober 1935 schreibt er in einem (wiederaufgefundenen) Brief an Thomas Mann (in Zürich): „… Gestern hielten wir Weinlese mit unseren Muskateller-Trauben. Ja, wir sind auch eine Art Weinberg, wenn auch nicht gerade ein fröhlicher. Wir haben nichts mehr zu lachen. Geist, Witz, Humor haben sich verflüchtigt…“.

… und verliert es

Am 14. Februar 1945, von Brandbomben getroffen, brannte das Haus nieder – die Löschversuche der Nachbarn konnten nicht mehr helfen. Rat- und fassungslos floh Kurt Martens zu seinem im Bühlauer Beamten-Altersheim lebenden Bruder, dem pensionierten Bibliothekar Johannes Martens, wo er am 16. Februar starb. Am 21. Februar wurde er auf dem Losch­witzer Friedhof begraben; sein Grab existiert nicht mehr. Seine Frau (die 1947 in Coswig starb) und seine Schwester Margarethe von Koppenfels geborene Martens, die in späteren Jahren Erbin des Grundstückes wurde, verblieben noch nach dem Bombenangriff im Kellergeschoss
des „Schweizerhauses“ Schillerstraße 24.
Wenn die nunmehrigen bauwil­ligen Besitzer des Areals im „Denkmalschutzgebiet Elbhänge“ eines Tages ihr neues Haus beziehen werden, dürfte ihnen bewusst sein, dass sie künftig in einem, im vorstehenden Bericht etwas idealisierten „Denkmal“ besonderer Art wohnen.

Der Schriftsteller Kurt Martens, um 1920. Foto: Sammlung  Dr. Dirk Heißerer, München

Der Schriftsteller Kurt Martens, um 1920.
Foto: Sammlung
Dr. Dirk Heißerer, München

Lokal-zeitnahe Ironie der Geschichte

Von seinem Vater, dem sächsischen Amtshauptmann Heinrich Martens, überlieferte Sohn Kurt Martens folgendes: „Geneigt zu radikaler Skepsis, selbst dem Staate gegenüber, dem er berufsmäßig diente, fiel es ihm doch nicht bei, irgendeine der realen Autoritäten zu bezweifeln. Deren höchste sah er verkörpert in seinem König. Die wachsende Macht der Sozialdemokratie fand er sehr begreiflich, ohne sie zu billigen. ,… sogar die werden einstmals recht behalten und Sachsens Flüsse und Bäche nach ihrem Sinne regulieren‘. Dies war nämlich sein Referat im Ministerium“ … das aber damals noch nicht über Parkplätze und Radwege im Landschaftsschutzgebiet zu befinden hatte.
Die im vorstehenden Beitrag eingeflochtenen Zitate und weitere historische Fakten sind Recherchen des Denkmalpflegers Eberhard Münzner (Loschwitz) und Beiträgen entnommen, die der Dresdner Historiker und „Adels(genealogie)forscher“ Siegfried Merker (75) ermittelt oder selbst verfasst hat.

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